2006: Fair Brandenburg 2012 |
5-Jahrplan für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung Schwule und Lesben können heute so frei leben wie nie zuvor in unserem Land. Dabei kann Brandenburg auf eine lange Tradition der Toleranz und homosexueller Emanzipation von schwulen Königen, Dichtern, Gärtnern, Malern, Komponisten und Baumeistern zurückblicken und stolz darauf sein. Dies war jedoch mit harten Kämpfen und großen Rückschlägen verbunden. Im Nationalsozialismus fand eine in der Geschichte bis dato einmalige Homosexuellenverfolgung statt. In Sachsenhausen wurden einige hundert Homosexuelle Männer aus Brandenburg umgebracht, die mit Ihnen existierende Infrastruktur aus Cafés, Kneipen, Zeitungen usw. zerschlagen. Eine Entschädigung gab es bis heute nicht. Im Gegenteil: Auch nach 1945 blieben Homosexuelle lange Zeit kriminalisiert und ausgegrenzt. In den vergangenen Jahrzehnten ist ein großer gesellschaftlicher Wertewandel gelungen. Inzwischen gibt es einen demokratischen Konsens, dass das in Artikel 2 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu Respekt gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen verpflichtet. Auf der rechtlichen Ebene wurde in den vergangenen Jahren viel erreicht. Die Brandenburger Landesverfassung die durch ihre Abstimmung per Volksentscheid eine breite Akzeptanz und Verankerung in der Bevölkerung hat, verpflichtet seit 1992 zur Gleichbehandlung Homosexueller. Das im Jahre 2001 verabschiedete Lebenspartnerschaftsgesetz ist ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung von schwulen und lesbischen Paaren. Dennoch: Homosexuellenfeindlichkeit, Vorurteile und Diskriminierung sind längst noch nicht überwunden. Auch in Brandenburg sind Schwule und Lesben immer wieder mit Benachteiligungen, Beleidigungen, Pöbeleien und Gewalt konfrontiert. Ein offener Umgang mit der eigenen Homosexualität ist in bestimmten gesellschaftlichen und vor allem ländlichen Bereichen auch heute noch mit negativen Konsequenzen verbunden.
1. Die Zeit ist reif für Diversiy Managment
Neben der rechtlichen Gleichstellung sind deswegen verstärkte Anstrengungen notwendig, die Akzeptanz von Lesben und Schwulen im alltäglichen Leben zu fördern. Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zur Gleichstellung von Schwulen und Lesben müssen in der täglichen Praxis auch durch- und umgesetzt werden. Und dabei stehen die Schwulen und Lesben nicht allein. Es ist vielmehr eine Bündelung der Kräfte aller zu Unrecht diskriminierten Personengruppen notwendig. Der in vielen Bereichen von der Landes- verwaltung über Gewerkschaften bis zur EU zu spürende Kampf der Gruppen gegeneinander aus Angst um die Vergabe der wenigen Mittel, der in der Vergangenheit z.B. dazu geführt, dass es keine Einheitliche Front zur Einführung der Europäischen Diskriminierungsrichtlinen gab, muss aufhören. Wir brauchen eine Politik der Chancengleichheit für alle, auch für Gruppen, die im AGG nicht genannt sind, wie die chronisch Kranken und hier besonders die HIV-Infizierten. Kurz: Es bedarf eines "Diversity Managements". Dazu gehört eine angemessene Repräsentation in gesellschaftlichen Gremien und Institutionen. Dazu gehört eine Bildungs- und Jugendarbeit, die Vorurteilen offensiv entgegentritt. Dazu gehört eine Familienpolitik, die der Situation lesbischer und schwuler "Regenbogenfamilien" Rechnung trägt. Dazu gehört eine Integrationspolitik, die das Selbst- bestimmungsrecht von lesbischen Migrantinnen und schwulen Migranten sicherstellt. Dazu gehören eine umfassende Dokumentation und die Prävention von Diskriminierung und Gewalt ebenso wie die wissenschaftliche Erforschung der Ursachen und gesellschaftlicher Entwicklung von Homosexuellenfeindlichkeit. Dazu gehört eine Erinnerungskultur, die die (Verfolgungs-) Geschichte von Schwulen auch im öffentlichen Raum sichtbar macht. Und dazu gehört eine Gesundheits- und Präventionspolitik, die sich auf die verschiedenen Zielgruppen schwuler Männer und deren veränderte Wahrnehmung der HIV-Bedrohung konzentriert. Insofern wäre es wünschenswert, aus den Gleichstellungsbeauftragten künftig Diversity- Manager zu machen.
2. Rechtliche Gleichstellung vollenden
Die rechtliche Situation von Lesben und Schwulen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Von einer Gleichstellung sind wir aber noch weit entfernt. Viele Fragen wie die Gleichstellung im Adoptionsrecht, bei der Erbschafts- und Einkommenssteuer betreffen Bundesrecht, worauf das Land Brandenburg nur eingeschränkten Einfluss hat. Eine Bundesratsinitiative für die Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare stände dem Land Brandendenburg gut zu Gesicht. Im Landesrecht wiederum ist die rechtliche Gleichstellung zu vollenden. Dies gilt insbesondere für jene Bereiche, die durch die Föderalismusreform nunmehr in Landeskompetenz übergegangen sind. Zu nennen ist hier u.a. das Beamtenrecht, der Strafvollzug und das Heimrecht. Nach nunmehr fünf Jahren Homoehe wäre zu prüfen, ob die Öffnungsklausel für die Gemeinden, die Verpartnerung der Strassenverkehrs- oder Müllaufsichtsbehörde übertragen zu können, nicht endlich verschwinden kann, da kein Bedarf hierfür besteht.
3. Vertretung in Gremien, Komissionen und sonstigen Institutionen
Wie andere gesellschaftliche Gruppierungen auch, sind Vertreter der Schwulen und Lesben in öffentlich-rechtliche Gremien, Kommissionen, Kuratorien, Beiräte, Jurys und sonstige Institutionen zu berufen. Dazu gehören selbstverständlich Gremien wie der Rundfunkrat, der Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen und des Landesprogramms Tolerantes Brandenburg, um nur einige zu nennen. Nur hier werden Schwule und Lesben ihre Interessen dauerhaft und nachhaltig geltend machen können. Da die Gleichstellung Homosexueller eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe ist, bedarf es einer Vertretung in allen Gremien, die die Brandenburger Bevölkerung repräsentieren sollen oder die die Belange von Schwulen und Lesben berühren. Sei es um mitunter auch,nur um durch pure Anwesenheit die Belange der Schwulen und Lesben ins Bewusstsein der Verantwortlichen zu rücken, aber auch um Türen zu öffnen um die Gesellschaft positiv zu beeinflussen.
4. Kommunalpolitik, Kultur, Landesförderung
n den letzten fünf Jahren hat sich die Struktur der schwul lesbischen Community im Land Brandenburg grundlegend geändert. Nach der Wende dominierten schwul lesbische Vereine das Land Brandenburg. Es ist festzustellen, das durch fehlende Förderung des Landes diese Vereine mit ihren Beratungs- und Kulturangeboten zumeist nicht mehr existieren. An ihre Stelle traten diverse Formen schwul lesbischer Interaktion und Kommunikation im niedrigschwelligen Bereich. Zum einen gibt es Internetportale für die jeweiligen Regionen. Desweiteren haben sich in größeren Städten seit einigen Jahren Cafés, Bars oder Diskotheken etabliert. Nur wenige Vereine wie der Katte e.V., unterstützen die Community mit verschiedenen Projekten, Veranstaltungen oder Ausstellungen. In Zeiten zunehmenden Rechtsextremismus und fortwährender Diskriminierung von Lesben und Schwulen halten wir es für besonders wichtig, bei der Förderung schwul - lesbischer Kultur das Vor - Ort - Prinzip einzuhalten. Gerade das Flagge zeigen in Kleinstädten ist ein wirksamer Beitrag im Kampf gegen Intoleranz und antihomosexueller Gewalt. Vernetzungsarbeit darf sich nicht nur auf die Landeshauptstadt beschränken. Bei jeder Debatte um den Haushaltsentwurf des jeweiligen Jahres besteht die Gefahr, dass aus Gründen der Haushaltskonsolidierung Fördermittel für schwul lesbische Projekte eingespart werden. Dies ist nicht hinnehmbar. Gerade schwul - lesbische Projekte vor Ort kämpfen um Toleranz und Akzeptanz. Dies muss die Politik auch mit finanziellen Mitteln unterstützen. Ein Absenken der Fördermittel wäre unseres Erachtens nach mit hohen Folgekosten verbunden, da die Homosexuellen- feindlichkeit stetig zunehmen würde. Wir sind der Auffassung, dass im Landeshaushaltsplan zu wenige Mittel für schwul - lesbische Projektarbeit eingeplant sind. Wir halten vielmehr eine Erhöhung für die Förderung schwul - lesbischer Projektarbeit für notwendig. Bei der Förderung schwul - lesbischer Projektarbeit geht es immer auch um Wertevermittlung, Respekt- sowie Informationsarbeit. Mithin handelt es sich auch um eine sinnvolle Investition in die Zukunft. Weiterhin muss bei der Mittelvergabe darauf geachtet werden, künftig nur Projekte aus diesen Mitteln gefördert werden, die der Umsetzung der Verfassung dienen. Förderung schwul - lesbischer Projekte muss in Zukunft zielgenauer und transparenter erfolgen. Besonders zu fördern ist Coming - Out Arbeit, Kulturarbeit und Antidiskriminierungsarbeit. Wichtig dabei ist das Vor Ort Prinzip im Flächenland Brandenburg. Nicht nur das Land, sondern auch die Kommunen müssen bei der Finanzierung schwul - lesbischer Projekte mit eingebunden werden. Allgemeine Sozialarbeit muss von den kommunalen Trägern erbracht werden, wie (Schul-) Bildungsaufgaben vom Ministerium für Bildung Jugend und Sport Auch darf die steuerfinanzierte Landesförderung nicht mit der steueraufbringenden Wirtschaft konkurrieren.
5. Bildungsarbeit
Schulen und Bildungseinrichtungen sind der Ort, wo den Vorurteilen und der Diskriminierung von Schwulen und Lesben noch am ehesten entgegengetreten werden kann. In den Brandenburger Rahmenlehrplänen ist dies auch vorgesehen. Doch die Praxis sieht anders aus: Viele Pädagogen fühlen sich nicht ausreichend qualifiziert, um Homosexualität zu thematisieren. Hinzu kommt, dass das Thema gerade bei Jugendlichen mit vielen Emotionen und oft auch mit einer latent aggressiven Ablehnung verknüpft ist. Die meisten Lehrer und Erzieher wissen nicht, wie sie dem adäquat begegnen können. Nicht wenige Pädagogen haben auch selbst noch Vorbehalte gegenüber Homosexuellen. Hier ist von staatlicher Seite gegenzusteuern. Aufklärung über Homosexualität muss künftig obligatorischer Bestandteil der Bildungs- und Jugendarbeit sein. Nötig ist eine offensive, themen- und fächer- und Jahrgangsstufen übergreifende Auseinandersetzung mit antihomosexuellen Einstellungen, vom Sexualkunde- bis zum Sportunterricht. Von der Grundschule (Sachkundeunterricht der.3../4. Klasse und Naturwissenschaften in der 5./6.Klasse) ü ber die Sekundarstufe 1 (Bildende Kunst, Biologie, Philosophie, Geschichte, Sozialkunde, Fremdsprachen) bis zur gymnasialen Oberstufe (Fremdsprachen, Biologie, Philosophie, Politikwissenschaften) und den berufsbildenden- und Berufsfachschulen (Sozialkunde, Wirtschaftspolitik) muss den Schülern eine interkulturelle Kompetenz vermittelt werden, sich in Toleranz und Akzeptanz von Minoritäten zu üben. Da insbesondere der Sportunterricht sehr anfällig für Diskriminierungen ist, muss hierauf besonders geachtet werden.
6. Jugendarbeit
Gerade in der außerschulischen Jugendarbeit kommt es darauf an, die Jugendlichen für fremde Wahrnehmungen und Perspektiven zu sensibilisieren und die Bereitschaft und Fähigkeit zum Perspektivwechsel aktiv zu fördern. Wichtig ist auch die Thematisierung des Umgang mit kulturell sensiblen Themen und Situationen, Vorurteilen und Stereotypen ebenso wie die Wahrnehmung und der kritische Umgang mit der eigenen, kulturell geprägten Identität. Ggf. muss die Relativierung des eigenen Standpunktes sowie der Abbau von Aggressionen nicht fehlen. Besonders im Strafvollzug und in der Wiedereingliederung darf es nicht zu einem Race to the bottom, also einem Rennen um die niedrigsten Kosten, den niedrigsten Standard kommen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass immer mehr Lesben und Schwule ihr Coming Out im minderjährige Alter erleben und vorantreiben. Hierbei können Konfliktsituationen mit den Eltern oder im schulischen Alltag entstehen. Für Notfallsituationen, etwa wenn Eltern ihren schwulen Sohn aus dem Haus werfen, gibt es keine Hilfestruktur. Deshalb braucht Brandenburg ein schwul - lesbisches Beratungstelefon. Jugendsozialarbeiter brauchen eine größere Sensibilisierung bei der Coming Out - Problematik. Wir halten es für notwendig, das ein Projekt für betreutes Wohnen für lesbisch schwule Jugendliche initiiert wird.
7. Familienpolitik: Coming Out und Regenbogenfamilien unterstützen
Schwule und Lesben sind keine vereinzelten Individuen, sie sind Söhne, Töchter, Neffen und Nichten, Tanten, Onkel und oft auch Mütter und Väter. Viele lesbische und schwule Paare leben mit Kindern oder wünschen sich welche. Sie haben Kinder aus vorangegangenen heterosexuellen Beziehungen, kümmern sich um Pflegekinder oder entscheiden sich bewusst für ein leibliches Kind (z.B. durch Insemination). Die derzeitige rechtliche Situation behindert solche Familienmodelle allerdings. Eine gemeinsame Adoption ist ebenso unmöglich wie z.B. vertragliche Regelungen zum Sorgerecht nach der Geburt. Hinzu kommen alltägliche Probleme: Jugendämter und Familienberatungsstellen sind mit dem Thema meist ebenso überfordert wie Erzieher und Lehrer. Dies muss sich ändern! Die Brandenburger Familienpolitik muss den Lebensmodellen von Lesben und Schwulen verstärkt Rechnung tragen. Dazu sollten selbstverständlich Beratungsangebote für Jugendliche und ihre Eltern zu Coming-Out und Homosexualität gehören. Aber auch spezifische Angebote für lesbische und schwule Eltern sind zu fördern und nach Bedarf weiter auszubauen. Angehörige von Jugendämtern und Familienberatungsstellen, aber auch Lehrer und Erzieher an Kitas, in Kindergärten, Schulen und Jugendzentren sind bei Multiplikatoren- schulungen für die Themen Homosexualität und gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sensibilisieren. Beratungsleitfäden und Unterrichtsmaterialien sind im Hinblick auf die Lebensmodelle lesbischer und schwuler "Regenbogenfamilien" zu ergänzen.
8. Integrationspolitik
Homosexualität stößt bei einem Teil der in Brandenburg lebenden Zuwanderer und Migranten besonders muslimischer und jüdischer Religionen auf vehemente Ablehnung. In Städten und Gemeinden, Schulen oder Jugendzentren mit hohem Migrantenanteil lässt sich ein gesellschaftliches Klima beobachten, in dem Homosexuellenfeindlichkeit zum "guten Ton" gehört. Statt zur Integration von Migrantenjugendlichen kommt es zu Assimilationsprozessen in die Gegenrichtung: Patriarchalische Denkmuster und archaische Ehr- und Moralvorstellungen durchdringen bestimmte Jugendkulturen immer stärker. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben. Immer wieder werden Homosexuelle Opfer von Diskriminierung und Pöbeleien, mitunter auch von Gewalt. Besonders hart trifft es Schwule und Lesben mit Migrationshintergrund. Viele lassen sich in ein Doppelleben zwingen. Kommt es doch zu einem Coming-Out oder zu einem Outing durch Dritte, werden sie durch ihre Familien oft massiv unter Druck gesetzt. Dazu zählen Sanktionen wie das Arrangement einer Alibi-Hochzeit, der Entzug finanzieller Unterstützung, das Verstoßen aus der Familie, in Extremfällen auch massive körperliche Gewalt. Hier ist die Integrationspolitik gefordert. Das individuelle Selbstbestimmungsrecht von und der Respekt gegenüber Lesben und Schwulen wie anderen Minderheiten müssen offensiv eingefordert werden. Dazu gehört ein entsprechender Dialog zwischen Integrationsbeauftragten, Migranten- organisationen und Lesben- und Schwulen- verbänden. Dazu gehört die Unterstützung von Aufklärungsprojekten und Kampagnen, um die zivilgesellschaftliche Debatte über die Gleichstellung von Lesben und Schwulen in die Migrantencommunitys zu tragen. Dazu gehören spezifische Beratungsangebote für lesbische Migrantinnen und schwule Migranten. Dazu gehört es, schwulen und lesbischen Opfern von häuslicher Gewalt und Zwangsverheiratung in qualifizierten Beratungsstellen und Zufluchts- häusern Hilfe und Schutz zu bieten. Und dazu gehört auch: die obligatorische Thematisierung von Homosexualität in Sprach- und Integrationskursen. Ein weitere Problematik ist die Praxis in den Ausländerbehörden. Viele Migranten, die im Ausland jahrelang wegen ihrer Sexualität ausgegrenzt und diskriminiert werden, trauen sich nicht dies im Erstgespräch zuzugeben und geben Gründe an, die später zu einer Asylversagung führen wogegen einige, diesen Asylgrund bewusst wählen um sich ein Aufenthaltsrecht zu erschleichen. Auch dafür müssen die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden sensibilisiert werden.
9. Dokumentation und Prävention von Diskriminierung und Gewalt
Die meisten Schwulen und Lesben machen Diskriminierungserfahrungen: Sie werden beleidigt und angepöbelt, je nach Tageszeit, Ort und Situation werden die Angreifer auch gewalttätig. In einigen Brandenburger Orten trauen sich viele Schwule und Lesben nicht mehr, sich in der Öffentlichkeit zu erkennen zu geben. Der Entwicklung solcher Angsträume muss Einhalt geboten werden. Das Berliner Überfalltelefon Maneo registriert jedes Jahr bis zu 100 Einzelfälle homosexuellenfeindlich motivierter Gewalt für die es in Brandenburg keinen adäquaten Ansprechpartner mehr gibt, seit durch die Übergabe (fast) der gesamten Landesförderung im schwul-lesbischen Bereich an einen Träger der letzte Betreiberverein aufgeben musste. Die Dunkelziffer liegt nach übereinstimmender Schätzung auch der erfahrenen Beauftragten der Berliner Polizei bei rund 90 Prozent. Weil repräsentative Studien zum tatsächlichen Ausmaß und zu den Ursachen homosexuellenfeindlicher Gewalt fehlen, gibt es im Bereich der Täterprävention aber kaum Fortschritte. Woran es mangelt, sind geeignete Instrumentarien zur Erfassung und zur Dokumentation homosexuellenfeindlich motivierter Gewalt. Hier bedarf es neuer Konzepte, die der Täterprävention wie dem Opferschutz gleichermaßen Rechnung tragen, etwa eine breitgefächerte Dokumentation von Hass-Delikten nach dem Vorbild der Erfassung rechtsradikaler Gewalttaten. Überdies ist eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung des Ausmaßes und der Ursachen homosexuellenfeindlich motivierter Diskriminierung und Gewalt zu initiieren. Gleichzeitig sind täterorientierte Präventionskonzepte zu entwickeln und in der Praxis zu erproben.
10. Erinnerungskultur und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum - Zusammenarbeit mit unseren polnischen Nachbarn
Die symbolische Repräsentation von Lesben und Schwulen im öffentlichen Raum ist für ihre gesellschaftliche Gleichstellung und die Förderung von Respekt und Toleranz von entscheidender Bedeutung. Als Beispiel sei hier nur an die jährlich im Rahmen der CSD-Tour erneute Debatte über die Hissung von Regenbogenfahnen an Brandenburger Rathäusern erinnert. Die Sichtbarkeit von schwuler und lesbischer Geschichte und Kultur und ihre symbolische Repräsentation auf Gedenktafeln, Straßenschildern und Denkmälern sind deswegen aktiv zu fördern. Dazu gehört auch, die Kontakte der Landesregierung zu unserem Nachbarland Polen intensiv zu nutzen, die dortigen Lebensverhältnisse von Schwulen und Lesben zu verbessern. Dazu gehört aber auch eine angemessene Entschädigung für die Zerstörung und Plünderung der homosexuellen Infrastruktur in Brandenburg nach 1933. Hier ist eine Stiftung (gemeinsam mit Berlin) vorstellbar, die sich der Aufarbeitung der (Verfolgungs-) Geschichte von Lesben und Schwulen in Berlin und Brandenburg widmen und darüber hinaus zukunftsweisende Projekte für Respekt und Toleranz fördern sollte. Darüber hinaus ist das Land Brandenburg gefordert, mittels einer Bundesratsinitiative auch eine bundesweite Entschädigungsregelung herbeizuführen. Aber auch bei den Opferveranstaltungen wo das Land vertreten ist wie zuletzt in Auschwitz muss die Landesregierung darauf hinwirken, dass nicht die Schwulen als Opfergruppe negiert werden.
11. Offensive zur Prävention bei HIV und AIDS bei schwulen Männern
Nach 20 Jahren Präventionsarbeit steigen die HIV-Infektionsraten bei schwulen Männern wieder an. Das Robert-Koch-Institut schätzt den Anteil der HIV-Neuinfektionen im Jahr 2006, die auf ungeschützten Sex unter Männern zurückzuführen sind, auf 70 Prozent. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und reichen von blindem Vertrauen in die antiretroviralen Therapien über eine Kondommüdigkeit nach 20 Jahren Safer Sex bis hin zu einem bewussten Risikoverhalten insb. junger Männer nach dem Motto No risk no fun. Dieser besorgniserregenden Entwicklung muss mit einer Präventions-Offensive begegnet werden, die sich auf die verschiedenen Zielgruppen schwuler Männer und ihre veränderte Wahrnehmung der HIV-Bedrohung konzentriert. Erfolgversprechend können dabei nur Konzepte sein, die berücksichtigen, dass sich der Charakter der Bedrohung durch HIV und Aids tatsächlich verändert hat. Nötig ist eine Neujustierung von Botschaften und Vermittlungsmethoden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass inzwischen sehr viele schwule Männer sehr lange mit HIV und Aids leben. Es geht darum, realistische Wege aufzuzeigen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Das wird umso erfolgreicher gelingen, je offener die Gesellschaft mit Homosexualität umgeht und je weniger Diskriminierung schwule Männer aufgrund ihrer Sexualpraktiken oder einer HIV-Infektion zu befürchten haben. Da die bisherigen Muster, HIV-infizierte die früher eine durchschnittliche Lebenserwartung von ca. 10 Jahren hatten zu verrenten nicht mehr greift, da diese Dank der deutschen Pharmaindustrie mittlerweile eine Lebenserwartung von voraussichtlich 30 Jahren haben (genaue Studien gibt es dazu ja noch nicht) ist auch hier ein generelles Umdenken erforderlich die eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt sind offensichtlich die Ausländer- einrichtungen die in letzter Zeit eine vermehrte Anzahl HIV-Infizierter aufweisen, zumal diese mit Ihrer schon gesicherten Erstdiagnose die Fall- erhebungen des RKI unterlaufen und neben den Fällen der Erstdiagnose Brandenburger Männer in Berlin zu der enormen Diskrepanz zwischen (derzeit rückläufigen) Erstdiagnosen in Brandenburg und ansteigenden Fallzahlen der HAART-Therapien HIV-Infizierter führen. Da dies in der Vergangenheit weder der Schwerpunkt der Präventionsarbeit der Ministerien und Hilfsvereine war ist hier dringender Handlungsbedarf gegeben. Gerade die Verdreifachung der Neuinfektionen bei 16-20 jährigen in den letzten 2 Jahren müssen dazu führen, neben der obligatorischen Prävention im Bildungsbereich diese auch z.B. an Orten fortzuführen, die eben besonders häufig von Männern, die Sex mit Männern suchen, aufgesucht werden, von häufig frequentierten Autobahnraststätten über Badestellen- und seen bis zu den Discotheken, Szenekneipen und Hochschulen muss ein Präventionsnetz geschaffen werden. Dazu ist sowohl mobiler Einsatz im Land Brandenburg als auch ständige Werbepräsenz erforderlich und unerlässlich. Ein weiters Problem sind die für Schüler vergleichsweise hohen Kosten. Ein Markenkondom kostet im Einzelhandel ca. 1 EUR. in der Herstellung ca. 3-4 ct., im Grosshandel nur 6-7 ct. Da müssen günstigere Verkaufsmöglichkeiten an Schulen gefunden werden. Richtschnur sollte sein 10 Stück für 1 EUR, damit die Schüler nicht mehr sagen können, sie konnten sich Safer Sex nicht leisten. Dies wird auch durch erste Ergebnisse unserer derzeitlaufenden Umfrage belegt. Viele Jugendliche verwenden Kondome, wenn sie sie bei Strassenfesten, Veranstaltungen o.ä. umsonst bekommen aber nicht, wenn sie sie käuflich erwerben müssten. Weiterhin ist die bisherige Landesförderung zu überdenken. Die lokalen Präventions- und Beratungsangebote erreichen die Zielgruppe MSM in Potsdam kaum, in Frankfurt/Oder und Cottbus gar nicht. Dies muss besonders im ländlichen Raum und besonders im Raum Cottbus verbessert werden. Ausserdem müssen hier weitergehende Angebote der Selbsthilfe, der Begegnung, Interessenvertretung und Begleitung/Betreuung gefunden und finanziert werden. Ein erster Weg wäre hier auch ein Landesweites Beratungsprojekt auf Telefon/Internetbasis Auch die Schulaufklärung muss den veränderten Lebensbedingungen angepasst werden. Die doch eher altbackene oberlehrerhaft daherkommende Belehrung ergreift die Schüler einfach nicht. Mit Kampagnen pro Kondom, wie z.B. unsere Ausstellung Love-Sex-Safe, soll erreicht werden, zu verdeutlichen, dass Safer Sex Spaß machen kann. Dies müsste nun mit begleitenden Veranstaltungen und Interaktionsmöglichkeiten noch vertieft werden. In einer wissenschaftlich begleiteten Auswertung unserer laufenden Befragung müssten diese Strategien dann den Erkenntnissen bzw. dem Bedarf noch mal angepasst werden.
12. Verbesserung der Lebenssituation von älteren Lesben und Schwulen
Ältere Schwule und Lesben erleben die Ausgrenzung oft doppelt. In einer scheinbar vom Jugendwahn besessenen Gesellschaft, nimmt sich die schwul/lesbische Szene leider nicht aus. Im Alter zu vereinsamen ist dabei für Schwule besonders schwer. Sie haben oft keine Kinder und selten so etwas wie Familie. Demzufolge niemanden, der sie im Krankenhaus besucht oder dem sie sich mit Ihren Sorgen um den Tod, um die durch Aids wegbrechenden Freundschaften und das Thema Partnerschaft im Alter anvertrauen können. Deshalb müssen noch genauere Maßnahmemöglichkeiten gefunden werden, wie den größten Problemen Ausgrenzung und Altersvorsorge wirksam begegnet werden kann. Ein Merkmal der Ausgrenzung liegt darin dass die meisten älteren Schwulen und Lesben noch strafrechtliche Verbote erlebt haben, die bis 1969 galten und in Ihrer Jugend von einer hohen Prozentzahl an Suizidversuchen unter Homosexuellen begleitet waren. Psychische Erkrankungen ließen sich aber auffangen - etwa indem mehr Aktivitäten gemeinsam mit und für Ältere gezeigt werden. Aber auch in der Altenbetreuung muss noch evaluiert werden, wie diese für älter Schwule und Lesben am besten aussieht. Gerade in der konfessionellen Altenbetreuung fühlen sie sich viele Lesben und Schwule unverstanden. Ausserdem muss den bestehenden Vorurteilen bei jüngeren Lesben und Schwulen wirksam begegnet werden wie auch die Wahrnehmung der älteren Schwulen und Lesben durch positive Berichterstattung verbessert werden kann, die den gesellschaftlich-/politisch aktiven Teil der Gesellschaft hervorhebt und von der verengten Sicht nur auf die Partykultur ablenkt. Eine bewusste Diskriminierung darf es jedenfalls nicht geben.
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